Zur Judensau

Paul Klee, Brand-Maske, 1939, Kleisterfarbe und Bleistift auf Papier und Karton, 20,9 x 29,7 cm, Zentrum Paul Klee, Bern.

Die seit vielen Jahren geführte Kontroverse um die Judensau in Wittenberg irritiert mich schon seit langem. Sie irritiert mich darum, weil in ihr überwiegend mit falschen Alternativen operiert wird, und zwar auf beiden Seiten der Diskussion. Dass der aus Ärger über die Kritik an seinem Antisemitenverstehertum zum denunziatorischen Edelantisemiten avancierte Patrick Bahners sich in der heutigen FAZ zum Tugendwächter in Sachen Judensau aufspielt, hat das Fass bei mir nun endgültig zum Überlaufen gebracht. Denjenigen, die sich für dieses Thema ernsthaft interessieren, würde ich übrigens einen von Caroline Walker Bynum 2004 veröffentlichten, überaus wichtigen Aufsatz zum Thema, „The Presence of Objects: Medieval Anti-Judaism in Modern Germany”, empfehlen. Darin diskutiert sie die mit derartigen Objekten verbundenen Probleme auf ein Weise, die das Niveau der öffentlichen Debatte in Deutschland um ein Vielfaches übersteigt.

Dass Menschen sich an der unverminderten Sichtbarkeit der Judensau stören und sie als bedrohlich empfinden, ist nur zu verständlich. Allerdings ist die Judensau nicht nur Abbildung, sondern auch Objekt, und zwar nach dem Verständnis seiner Urheber ein Objekt, das die Stadt Wittenberg und ihre Bewohner durch ihr Vorhandensein segnete und heiligte. Über Jahrhunderte hinweg waren Stadt und Bewohner dankbar für diesen Segen. Nachdem sie in aller Regel aufgehört hatten, Objekten wie der Judensau derartige Kräfte zuzuschreiben, nahmen sie nur in Ausnahmefällen Anstoß an der widerlichen Denunziation der Juden, die sie verkörpert. Selbst, als man ganz so indifferent nicht mehr aussehen durfte, blieb die Forderung nach einer wirklich ernsthaften, über das minimal Alibihafte hinausgehenden Auseinandersetzung marginal. Dummerweise würde die Beseitigung der Judensau auch das öffentliche Zeugnis dieser verheerenden Geschichte beseitigen.

Daraus folgt meines Erachtens, dass es einer Lösung bedarf, die beiden Herausforderungen gerecht würde, die also einerseits die Judensau ihrer unmittelbaren Wirkung beraubt, andererseits aber die mit ihr verbundene antisemitische Tradition nicht ebenso unsichtbar macht wie die Judensau selbst.

Daraus folgt meines Erachtens, dass es einer Lösung bedarf, die beiden Herausforderungen gerecht würde, die also einerseits die Judensau ihrer unmittelbaren Wirkung beraubt, andererseits aber die mit ihr verbundene antisemitische Tradition nicht ebenso unsichtbar macht wie die Judensau selbst. Dabei kommt es entscheidend darauf an, dass die Problematisierung dieser Tradition eben nicht irgendwo in einem Museum, sondern gerade in einer weithin sichtbaren, das Stadtbild prägenden und der vorherigen Wirkung der Judensau ebenbürtigen Form stattfindet.

Die beste Lösung dürfte wohl sein, die Judensau bliebe, wo sie ist, würde aber zugedeckt, und zwar auf eine Weise, die die gleiche Aufmerksamkeit auf sich lenkt, wie die Judensau es stets getan hat. Beispielsweise könnte sie schwarz verhangen oder durch eine transparente Tafel zugedeckt werden, in die ein den dauerhaften Bestand des Hauses Israel verheißender biblischer Spruch eingraviert ist. An oder in der Kirche bräuchte es dann einen interaktiven Gedenkort, dem zu entnehmen ist, was es mit der verdeckten Judensau auf sich hat. Er müsste so beschaffen sein, dass Interessenten eine Abbildung der Judensau nur zu sehen bekommen, wenn sie sich mit der bereitgestellten Information nachweislich befasst haben. Jedenfalls gäbe es in dieser Richtung eine Vielzahl praktischer Optionen, die einen breiten Raum zwischen „hängenlassen plus lahme Plakette“ oder „hängenlassen plus Flugblatt“ und „weg damit“ einnehmen.

Jedenfalls gäbe es in dieser Richtung eine Vielzahl praktischer Optionen, die einen breiten Raum zwischen „hängenlassen plus lahme Plakette“ oder „hängenlassen plus Flugblatt“ und „weg damit“ einnehmen.

Man könnte vielleicht argumentieren, wenn die Judensau ohnehin zugedeckt würde, könne man sie auch gleich entfernen. Diejenigen, die meinen, sie gehöre in ein Museum, machen sich meines Erachtens keine rechte Vorstellung davon, welche Herausforderungen mit einer Ausstellung der Judensau im Museum verbunden wären. Schließlich sind Museen auch öffentliche Räume, und wenn es derart unmöglich sein soll, mit der Judensau im Stadtbild angemessen umzugehen, warum sollte das im Museum plötzlich anders sein? Das scheint mir nun wirklich eine Form des magischen Denkens vorauszusetzen. Andererseits wird die Judensau durch die Verlegung ins Museum zu einer Kuriosität, also genau zu dem, was sie über Jahrhunderte hinweg gerade nicht war. So würde suggeriert, dass die antisemitische Tradition, die die Judensau hervorbrachte, inzwischen so weitgehend getilgt worden sei, dass man heute nur noch darüber staunen könne, dass so etwas je möglich war — als sei die Denunziation Israels als „Kindermörder” und dergleichen mehr nicht das Gleiche in modernisierter Form.

Die Kultur westlicher und muslimischer Gesellschaften ist seit jeher zutiefst durch den Antisemitismus geprägt worden. Würde man alles Anstößige beseitigen, bliebe von dieser Kultur denkbar wenig übrig. In diesem Sinne steht die Judensau beispielhaft für ein ungleich weiter reichendes Problem. Man denke nur an die Bachschen Passionen, die in Deutschland jahrein, jahraus, landauf, landab in den allermeisten Fällen noch immer völlig kritik- und arglos aufgeführt werden (siehe hierzu meinen Beitrag zur Johannespassion).

Als Bonus spränge für Bahners und seinesgleichen dabei ein in der Öffentlichkeit historisch antisemitismusfreies Deutschland heraus, in der es Menschen noch schwerer als jetzt schon fiele, das, was man ihnen gegebenenfalls theoretisch über den Antisemitismus beizubringen versucht, mit ihrer Umwelt und Wirklichkeit in Verbindung zu setzen.

Dass Bahners nun meint, zwischen den Erfordernissen der mühseligen Aufarbeitung einer jahrhundertealten, von vielen noch immer verdrängten antisemitischen Tradition und der Beseitigung von irgendwelchem eben erst installiertem antisemitischem Scheiß auf der diesjährigen documenta bestehe kein Unterschied, und die öffentliche Wahrnehmung der Macht von Kunstobjekten habe sich im letzten Jahrtausend kein bisschen verändert, spricht Bände. Bei Bahners‘ scheinradikaler „Einsicht“ in die Notwendigkeit der totalen Beseitigung aller Spuren des Antisemitismus handelt es sich allzu offensichtlich um die Rationalisierung einer eher kindischen Abwehr- und Übertragungsreaktion: wenn die Art von Antisemitismus, die ich verbissen verteidige, weg muss, dann muss der Antisemitismus der Anderen aber auch weg. Als Bonus spränge für Bahners und seinesgleichen dabei ein in der Öffentlichkeit historisch antisemitismusfreies Deutschland heraus, in der es Menschen noch schwerer als jetzt schon fiele, das, was man ihnen gegebenenfalls theoretisch über den Antisemitismus beizubringen versucht, mit ihrer Umwelt und Wirklichkeit in Verbindung zu setzen.

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