Alle Wege führen zu Heidegger: Bemerkungen zu Lapidots (Anti-)Anti-Anti-Semitismus

Paul Klee, Narr in Trance, Öl & Leinwand, 1929, 50,5 x 35,5 cm (Museum Ludwig, Köln).

Heute ein weiterer Beitrag in meiner beliebten Reihe: Bestellte aber nicht angenommene Rezensionen. Für die jungle world war die Besprechung nicht gut genug, ich bin da zum Glück nicht so anspruchsvoll. Dass die Rezension so kurz ausgefallen ist, liegt an den Vorgaben der jungle world. Ich habe aber keine Lust mich im Interesse möglicher Ergänzungen durch weitere Befassung mit dem Lapidotschen Machwerk noch mehr zu quälen, als ich es ohnehin schon getan habe.

Da Lapidots Buch als Sachbuch mit erheblichen wissenschaftlichen Prätentionen firmiert, bestünde meine Aufgabe in der Regel darin, mich zur Plausibilität der darin vorgebrachten Argumente zu äußern. Doch gibt es in diesem Buch keine Argumente. Durch und durch zeitgemäß, gehört der Autor nicht nur zu jenen, die aus der Einsicht, dass man ohnehin nichts mit letzter Gewissheit sagen könne, folgern, man könne sich einfach aussuchen, was man für wahr erklärt. Er macht auch den sich seit einiger Zeit vollziehenden Umschlag von der totalisierenden postmodernen Beliebigkeit zum umso doktrinäreren post-postmodernen Fideismus—wo man nichts wissen kann, kann man nur glauben, und weil glauben inhärent absurd ist, sind Behauptungen umso wahrer, je absurder sie sind—munter mit. Daran ändert seine ständige Rede vom Wissen insofern nichts, als diese Rede jener Logik folgt, die in einer Rezession von Negativwachstum spricht.

Den projektionstheoretischen Ansatz in „Elemente des Antisemitismus“, dem letzten ausgearbeiteten Abschnitt der Dialektik der Aufklärung, etwa wischt er kurzerhand vom Tisch, indem er Horkheimer und Adorno als Positivisten enttarnt.

Lapidots „Methode“ ist die Opportunitäts- oder Gefälligkeitsdialektik. Will er Licht im Trüben nachweisen, zaubert er aus dem allergeringsten Hauch einer möglichen Andeutung einer Nuance ganze weltumspannende Gegenentwürfe. Macht die Dialektik noch die dümmste Plattitüde unglaublich komplex und den gröbsten Unfug ungeheuer bedenkenswert, führt sie überall dort, wo ihm etwas in die Quere zu kommen droht, zur radikalen Verflachung. Ganze durchs Bild stürmende Elefantenherden werden dann auf wundersame Weise unsichtbar. Den projektionstheoretischen Ansatz in „Elemente des Antisemitismus“, dem letzten ausgearbeiteten Abschnitt der Dialektik der Aufklärung, etwa wischt er kurzerhand vom Tisch, indem er Horkheimer und Adorno als Positivisten enttarnt. Wer behaupte, der Antisemitismus sei eine Form der pathischen Projektion, bekenne sich damit zur Möglichkeit einer unvermittelten Bezugnahme auf eine objektiv feststehende und widerspruchsfrei beschreibbare Realität. Dabei betonten Horkheimer und Adorno gerade, dass „Alles Wahrnehmen Projizieren“ sei. Sie entwickelten ein tatsächlich dialektisches Modell der Wechselwirkung von Subjekt und Objekt und betonten, dass es im Verhältnis zum Objekt zuletzt stets einen vom Subjekt auf eigene Gefahr zu überwindenden Abgrund gebe. Damit wird dem Subjekt ein hohes Maß an Reflexion und Verantwortung und die Bereitschaft abverlangt, dem Objekt den größtmöglichen Vorrang einzuräumen. Dem Überdruss angesichts dieser Verantwortung verdankt die Postmoderne ihre Beliebtheit; die Entschlossenheit, nie wieder mit ihr konfrontiert zu werden, erklärt ihren Umschlag ins Doktrinäre. Kein Wunder, dass sie Lapidot nicht einmal mehr in den Blick gerät.

Anfangs erwog ich, es handele sich bei Lapidots Buch vielleicht um einen dystopischen Dokumentarroman, dessen Aufmachung als vermeintliches Sachbuch den hermetischen Charakter des Dargestellten noch zusätzlich unterstreichen solle. Tatsächlich handelt es sich aber um ein eschatologisches Stundenbuch, eine Sammlung dogmatischer, exegetischer und erbaulicher Texte, die den Anhängern seiner Glaubensrichtung dabei helfen mag, sich im Alltag regelmäßig ihrer Zugehörigkeit zu dieser Glaubensrichtung zu vergewissern.

Die Rede von tatsächlichen Juden und dem, was die für jüdisch halten mögen, ist für ihn gerade das zentrale Problem.

Lapidots zentrales Dogma lautet: „Der“ Anti-Antisemitismus—eine weltumspannende und -prägende Quelle der Unterdrückung wie das Kapitalverhältnis oder das Patriarchat—behauptet, sich gegen bestimmte Formen der Rede vom Jüdischen zu wenden, richtet sich tatsächlich aber gegen jede Rede vom Jüdischen. Diese Behauptung wirkt etwas weniger absurd, als sie auf Anhieb erscheinen mag, wenn man berücksichtigt, dass es Lapidot gar nicht um „jede“, sondern um eine ganz bestimmte normative, allgemeingültige und welterlösende Rede vom Jüdischen schlechthin geht. Die Rede von tatsächlichen Juden und dem, was die für jüdisch halten mögen, ist für ihn gerade das zentrale Problem. Eben, indem er die Aufmerksamkeit stets dorthin lenkt, verunmöglicht der Anti-Antisemitismus systematisch die Möglichkeit einer den Wünschen Lapidots entsprechenden Rede vom Jüdischen. Entscheidend ist dabei die Allgemeingültigkeit. So wie der post-postmoderne Fideismus ganz allgemein nur noch Kollektive kennt, kann Lapidot den Verweis auf realexistierende jüdische Individuen und die Art, in der sie ihr Jüdischsein jeweils auffassen, nur noch als Angriff auf das Jüdische „an sich“ auffassen. Es ist ja kein Zufall, dass der für die vormoderne Ständegesellschaft maßgebende Begriff des Privilegs heute—perverser Weise ausgerechnet im Namen der Vielfalt—wieder so zentral fungiert. Aufklärung richtet sich stets ans Individuum. Gibt es statt Individuen nur noch ideelle Kollektivsubjekte wie das von Lapidot erstrebte jüdische, ist die Aufklärung tot. Es versteht sich von selbst, dass diesen Mord nur die dem Namen nach fortschrittlichen Kräfte begehen können.

Gibt es statt Individuen nur noch ideelle Kollektivsubjekte wie das von Lapidot erstrebte jüdische, ist die Aufklärung tot.

Mit Blick auf das Verhältnis von Anti-Antisemitismus und Antisemitismus ist sich Lapidot offenbar nicht ganz schlüssig (vielleicht traut er sich auch einfach nicht, sich klar auszudrücken; an besonders neuralgischen Stellen weicht er überhaupt gerne auf rhetorische Fragen aus). Einerseits mache der Anti-Antisemitismus sich durch seine Auslöschung des Jüdischen zum Komplizen des Antisemitismus. Andererseits kann man aus der Abfolge von Lapidots Behauptungen eigentlich nur folgern, dass der Antisemitismus dem wahrlich Jüdischen letztlich gerechter wird als der Anti-Antisemitismus.

Darüber, worin das von Lapidot erstrebte Jüdische, dem der Anti-Antisemitismus so übel mitspielt, bestehen würde, ergeben sich aus dem Buch immerhin zwei konkrete Anhaltspunkte. Erstens hätte es mit dem Staat Israel nicht nur nichts zu tun, es würde dessen Existenz kategorisch ausschließen, kategorischer als je etwas kategorisch ausgeschlossen wurde. Sehr schön wird dies in der im Buch enthaltenen Hagiographie des heiligen Sankt Badiou durchgespielt. Er will und will kein Antisemit sein, doch ganz gleich wie er sich auf die Juden einen Reim zu machen versucht, immer stehen sie unterm Strich auf der Seite Israels und verfallen damit seinem Verdammungsurteil. Erst, als ihn der heilige Sankt Segré davon überzeugt, man könne „das Jüdische“ doch so definieren, dass ihm Israel als Verkörperung allen Übels auf Erden gilt, wird ihm die jenseits des Antisemitismus und des Anti-Antisemitismus liegende Erlösung zuteil. (Die Absurdität von Lapidots Bestreben, die „Komplizenschaft“ von Antisemitismus und Anti-Antisemitismus nachzuweisen, indem er den Antisemiten Badiou zum Anti-Antisemiten erklärt, könnte eine ergiebige Quelle unfreiwilliger Komik sein, doch nicht einmal die bietet das Buch.)

Auffällig ist immerhin, dass Lapidots Messias schon dagewesen ist. Er kann also nur auf dessen Wiederkunft hoffen. Von der herkömmlichen Eschatologie unterscheidet sich sein Ansatz dabei insofern, als von dieser Wiederkunft nicht die erneute Zusammenführung sämtlicher Stämme Israels im Heiligen Land, sondern die Auslöschung des dortigen jüdischen Lebens künden soll.

Zweitens kommt niemand zum wahrlich Jüdischen, es sei denn durch Heidegger, er ist der Weg, die Wahrheit und das Leben. Dem „falschen Messias“ Sabbatai Zevi des 17. Jahrhunderts gleich (er möge mir den beleidigenden Vergleich verzeihen), verkörpert Heidegger Lapidot zufolge gerade deswegen das Versprechen des Jüdischen schlechthin, weil er sich um der Erlösung willen kopfüber in die Sünde gestürzt hat. Nicht trotz, sondern gerade wegen seines Antisemitismus und seiner Verstrickung in den Nationalsozialismus kann es keinen glaubwürdigeren Gewährsmann für das wahrlich Jüdische geben als Heidegger. Allerdings könnte man hier gerade so gut und vermutlich zutreffender eine Analogie zu Luthers Überzeugung sehen, dass es besser sei, im Vertrauen auf die Gnade zu sündigen, als im Streben um Selbstrechtfertigung rechtschaffend zu handeln. Auffällig ist immerhin, dass Lapidots Messias schon dagewesen ist. Er kann also nur auf dessen Wiederkunft hoffen. Von der herkömmlichen Eschatologie unterscheidet sich sein Ansatz dabei insofern, als von dieser Wiederkunft nicht die erneute Zusammenführung sämtlicher Stämme Israels im Heiligen Land, sondern die Auslöschung des dortigen jüdischen Lebens künden soll.

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