Zwei Arten der antisemitischen Kontinuität

Paul Klee, Erinnerung an Erlittenes (1931), Öl- und Wasserfarbe auf Musselin auf Karton,
41.3 x 54.3 cm (Privatsammlung).

Seit die Postmoderne Marx mit der Einsicht überholt hat, dass das Beschreiben der Wirklichkeit reine Zeitverschwendung sei und es ausschließlich darauf ankomme, sie sich mit rein sprachlichen Mitteln nach Belieben umzuimaginieren, gibt es für die Art der Antisemitismusforschung, die ich erlernt habe, keine Verwendung mehr. Darauf reduziert, die wenigen anderen verbliebenen Verblendeten gelegentlich etwas zu ermuntern, erlaube ich mir dennoch den folgenden Hinweis. Ich habe die These mancher Wissenschaftler, es gebe eine spezifische Form des linken Antisemitismus, lange für falsch gehalten. Meine Annahme war dagegen, dass die Linke sich, entgegen ihren eigenen Ansprüchen, dem gesamtgesellschaftlichen Antisemitismus nie wirklich habe entziehen können und dies allzu oft auch gar nicht ernsthaft versucht habe. Daran würde ich für die Zeit vor 1967 auch weiter festhalten.

Dieser Tage ist nun wieder viel davon die Rede, der Antisemitismus, der gegenwärtig mit besonderer Heftigkeit und Gewalt durchs Land tobt, stehe in der einen oder anderen Weise in direkter Kontinuität zu dem der Nationalsozialisten. Das halten viele für ein starkes Argument, dummerweise stimmt es aber nicht bzw. nur bedingt. Die Gleichgültigkeit bzw. falsche Toleranz dem Antisemitismus gegenüber steht gewiss mit der weit verbreiteten Komplizenschaft während des Nationalsozialismus in Verbindung. Bei dem Zusammenhang zwischen dem tief empfundenen und aggressiv vorgetragenen Judenhass, den wir gegenwärtig erleben, und dem der Nazis haben wir es aber weniger mit einer direkten Kontinuität und viel eher mit einer nachträglichen Wiederaneignung des verdrängten Vernichtungsbedürfnisses zu tun.

Bei dem Zusammenhang zwischen dem tief empfundenen und aggressiv vorgetragenen Judenhass, den wir gegenwärtig erleben, und dem der Nazis haben wir es weniger mit einer direkten Kontinuität und viel eher mit einer nachträglichen Wiederaneignung des verdrängten Vernichtungsbedürfnisses zu tun.

Wie Dagmar Herzog exemplarisch am Beispiel der Sexualmoral zeigen konnte, hat die Neue Linke in der BRD sich darin hervorgetan, für das Erbe des Nationalsozialismus zu halten, was tatsächlich ein Ausdruck des christlich-konservativen Versuchs war, nach den „Entgleisungen“ der Nazizeit wieder feste und verlässliche Werte zu verankern. So ist auch der rabiate Antizionismus, ohne den die Neue Linke gar nicht zu denken ist, in entscheidendem Maße eine Abwehrreaktion nicht gegen den Antisemitismus der Nazis, sondern gegen den oft denunzierten, unsinnigerweise so genannten „Philosemitismus“ vieler Eltern und Großeltern der 68er gewesen. Die 68er haben ja ohnehin, wenn überhaupt, dann mit der Generation ihrer Eltern, nicht aber tatsächlich mit ihren Eltern abgerechnet. Die lautstark zur Schau getragene Kritik am Nationalsozialismus (den sie mit einem Mal so ziemlich überall auf Erden, nur eben nicht in Deutschland, zu erblicken meinten) und der mangelnden kritischen Auseinandersetzung mit ihm ging einher mit der systematischen und aktiven Teilhabe an der Verhinderung eben jener kritischen Aufarbeitung in der eigenen Familie. Hieraus ist der inzwischen fest etablierte Zustand erwachsen, der es den meisten Deutschen erlaubt, relativ bereitwillig einzuräumen, dass letztlich wohl „alle“ Deutschen zu Komplizen wurden, zugleich aber ganz sicher zu sein, dass die eigenen Verwandten mindestens unschuldig waren und höchstwahrscheinlich Widerstand geleistet haben.

In der zum Allgemeinplatz gewordenen Deutung dieses Sachverhalts wird eine ganz entscheidende Differenz übersehen: insbesondere christlich-konservative Westdeutsche konnten ihren im Nationalsozialismus entfesselten antisemitischen Wahn nach 1945 bzw. 1948 gerade deswegen wieder einigermaßen in den Griff bekommen, weil „die Juden“ nun doch einen eigenen Staat hatten. Im klassischen Antisemitismus liegt die besondere Gefahr, die angeblich von den Juden ausgeht, gerade darin, dass man sie für unfähig hält, einen eigenen Staat aufzubauen und zu erhalten und sich wie andere Nationen auch zu verhalten. Die Juden könnten daher gar nicht anders, so die Logik, als sich bei anderen Nationen parasitär einzunisten und sie von innen heraus zu zersetzen. Daher galten sie auch nicht als ein Gegner wie andere auch — wie der französische „Erbfeind“, etwa, den man zwar leidenschaftlich hassen konnte, der aber die Existenz einer stabilen und verständlichen Weltordnung nicht infrage stellte — sondern als der die Fortexistenz der Welt fundamental bedrohender Feind. Hieraus ergibt sich das frustrierende Paradox, dass Angehörige dieser Generation oft große Fans des neugegründeten Staats Israel und seines Militärs waren und es als Kompliment begriffen, wenn sie die wenigen in der BRD lebenden Juden zu Israelis erklärten, ohne überhaupt zu merken, dass auch das eine Form des Antisemitismus war. (Nebenbei bemerkt: bei den Kundgebungen dieser Tage erschrecke ich mich mitunter halb zu Tode, wenn lautstark hinausgerufen wird: Was haben denn die Juden in Deutschland mit Israel zu tun? Hier droht die berechtigte Kritik am Vorwurf der doppelten Loyalitäten unversehens in aggressiven Antizionismus umzuschlagen.)

Die 68er hatten ungleich mehr, und weit gehässigeres, zu diesem unbedarften Versuch ihrer Eltern, den radikalisierten Antisemitismus der Nazis hinter sich zu lassen, zu sagen als zum tatsächlichen Antisemitismus der Nazis und verwechselten diese beiden Phänomene schließlich vollständig. Indem sie sich mit großer Leidenschaft und Radikalität vom „Philosemitismus“ ihrer Eltern distanzierten, knüpften sie dann, ohne es zu merken oder wahrhaben zu wollen, genau dort wieder an, wo die Alliierten den Nazis zwei Jahrzehnte zuvor das Handwerk gelegt hatten.

Indem die Neue Linke sich mit großer Leidenschaft und Radikalität vom „Philosemitismus“ ihrer Eltern distanzierte, knüpfte sie dann, ohne es zu merken oder wahrhaben zu wollen, genau dort wieder an, wo die Alliierten den Nazis zwei Jahrzehnte zuvor das Handwerk gelegt hatten.

Die Kontinuitätslinie führt also nicht vom Nationalsozialismus durch den Mainstream der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft in die Gegenwart, sondern von der Gegenwart durch die Abwehr des unbedarften Versuchs jener Nachkriegsgesellschaft, die Kontinuität zu kappen, zurück an den Ausgangspunkt. Dass sie im Anschluss an die erfolgreich abgeschlossene Ausrottung aller europäischen Juden das antisemitische Feindbild neu würden justieren müssen, und der Zionismus am ehesten als neuer Hauptfeind infrage kam, war führenden Nazis in den letzten Kriegsjahren auch schon aufgegangen (diese Dinge wurden in verschiedenen Kreisen ganz ernsthaft und zum Teil auch öffentlich erörtert). Der eher traditionelle, auf die Befriedigung nationalistischer Ressentiments in Osteuropa ausgerichtete Antizionismus des Ostblocks mag zwar für einen Teil der Alten Linken prägend gewesen sein, in der Neuen Linken dagegen greift er das nationalsozialistische Programm genau dort wieder auf, wo die Nachkriegsgesellschaft ihm mehrheitlich den Rücken gekehrt hatte. Nun soll der Jude plötzlich gerade dann, wenn er einen eigenen Staat hat, erstrecht ein Weltzerstörer sein.

Nun soll der Jude plötzlich gerade dann, wenn er einen eigenen Staat hat, erstrecht ein Weltzerstörer sein.

Die Symbolfigur, die diesen Sachverhalt mit erschütternder Deutlichkeit illustriert, ist natürlich Axel Springer. Weil Springer aus der Erfahrung des Nationalsozialismus folgerte, dass Israel Anspruch auf bedingungslose Solidarität habe, musste dieser elementare Gedanke angesichts seiner in anderer Hinsicht denkbar unerfreulichen Rolle wie das Kind mit dem Bade augenblicklich und unwiderruflich ausgeschüttet werden. Die Fans des gegenwärtigen Terrors brauchen diesen Umweg natürlich nicht mehr zurückzulegen. Bei ihnen ist der Judenhass der Urquell aller gedanklichen Ableitungen, der Hass auf Springer ist hier nur noch so etwas wie ein rituelles re-enactment mit Familiaritätswert für die linken Anhänger. Auch alles, was sich gegenwärtig für links hält, wird natürlich restlos ausgelöscht werden, wenn der muslimische Terror auf den Beistand des sogenannten fortschrittlichen Lagers im Westen nicht mehr angewiesen ist.

In der momentanen Konstellation ist die Kontinuitätslinie, die von den Nazis auf dem Umweg über die Neue Linke zu den hiesigen muslimischen Terrorverehrern und ihren linken Bütteln führt, ungleich wirksamer und bedrohlicher als jene des aus christlichen/westlichen Gesellschaften seit Jahrtausenden nicht wegzudenkenden „gewöhnlichen“ Antisemitismus.

Dass dem Antisemitismus seine eigenen inneren Widersprüche nicht einmal gleichgültig sein können, weil er seiner Struktur nach unfähig ist, diese überhaupt erst wahrzunehmen, und man verschiedene Antisemitismen nicht gegeneinander aufrechnen oder ausspielen kann, weil sie immer additiv fungieren, brauche ich hier nicht noch einmal zu erklären. Die Frage, welche dieser Kontinuitätslinien gegenwärtig die gefährlichere sei, kann allerdings eindeutig beantwortet werden. In der momentanen Konstellation ist die Kontinuitätslinie, die von den Nazis auf dem Umweg über die Neue Linke zu den hiesigen muslimischen Terrorverehrern und ihren linken Bütteln führt, ungleich wirksamer und bedrohlicher als jene des aus christlich/westlichen Gesellschaften seit Jahrtausenden nicht wegzudenkenden „gewöhnlichen“ Antisemitismus. Auch hier hat der Marsch durch die Institutionen uns inzwischen eine ungeahnt reichhaltige Ernte beschert.

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